Dahlem und die Bekennende Kirche

Um 1930 ist Dahlem eine der wohlhabendsten Kirchengemeinden Deutschlands. Ansehnliche Bürgerhäuser und Villen bestimmen das Bild dieses Berliner Stadtteils. Hohe Regierungsbeamte, Professoren und Künstler lassen sich hier nieder und gehörten zur evangelischen Gemeinde. Mit Martin Niemöller, geboren 1892 in Lippstadt (Westfalen), übernimmt 1931 ein Mann von konservativer lutherischer Prägung die 3. Pfarrstelle an der St.-Annen-Kirche in Dahlem. Dieser Pfarrer, erfolgreicher U-Boot-Kommandant des 1. Weltkrieges, sollte eine wichtige Rolle im so genannten Kirchenkampf spielen.

Der Kirchenkampf

Unter dem Namen »Deutsche Christen« (DC) traten schon vor 1933 protestantische Pfarrer und Gemeindemitglieder (meist NSDAP-Mitglieder) an, um die evangelische Kirche für Adolf Hitler und seine Politik der nationalen Einigung (»ein Volk – ein Reich – ein Führer«) zu gewinnen. Gegen Liberalismus, Marxismus, Judentum, für die »Reinerhaltung der Rasse« machte sich die Liste DC bei den Kirchenwahlen im November 1932 stark.

1933, nach der Machtergreifung Hitlers, begann der eigentliche Kirchenkampf, in dem auch die DC nach der Macht griffen, und zwar in Gestalt des von Hitler eingesetzten Staatskommissars für die Evangelische Kirche August Jäger. Er löste die sämtlichen gewählten kirchlichen Organe auf und setzte einen nur mit DC bestückten Oberkirchenrat ein. Ganz kurzfristig wurden für den 23. Juli 1933 Kirchenwahlen angesetzt, welche die DC gewannen, nachdem Hitler in einer Rundfunkansprache massiv für sie Partei ergriffen hatte. Im selben Jahr wurde Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt.

Zu den wenigen Gemeinden, in denen die DC unterlagen, gehörte Dahlem. Es siegte die Liste »Evangelium und Kirche«, die von den drei Dahlemer Pfarrern Gerhard, Röhricht und Niemöller aktiv unterstützt worden war. Obwohl Niemöller das Nationale und Soziale der neuen Bewegung durchaus begrüßte, sah er eine gewaltige Kluft zwischen Christentum und Nationalsozialismus. Für ihn war die alles entscheidende Frage, ob Jesus Christus oder Adolf Hitler der Führer der Kirche sei.

Am »Arierparagraphen« entzündete sich die erste große Kontroverse zwischen DC und ihren Gegnern. Auf der sogenannten »Braunen Synode« – alle DC waren in SA-Uniformen angetreten – am 5. September 1933 in Berlin wurde eine von Niemöller und Pfarrer Karl Lücking entworfene Protestnote verlesen, die gegen die Forderung der DC, alle jüdischstämmigen Beschäftigten der evangelischen Kirche sofort zu entlassen, Stellung bezog. Als die Erklärung in der Synode zu Tumulten führte, verließen Niemöller und Lücking mit ihren Leuten die Synode.

Der Pfarrernotbund

Schon am 11. September 1933 trafen sich in Berlin Vertreter von Konventen, die sich gegen die Politik der DC gebildet hatten, um den »Pfarrernotbund« zu gründen. Niemöller übernahm den Vorsitz des von einem Bruderrat geleiteten Bundes. In einem Rundbrief des gleichen Monats forderte Niemöller seine Amtsbrüder zum Beitritt auf. Der Erfolg war, dass sofort 1.500 Pfarrer und bis zum Jahresende mehr als 7.000 Pfarrer Mitglieder wurden. Bis 1945 unterstützte der Notbund Pfarrer und ihre Familien finanziell, juristisch und seelsorgerlich. Trotz vieler Schikanen seitens der Nationalsozialisten wurde der Bund überraschenderweise nicht verboten, und Niemöller blieb sein Vorsitzender.

Ein Rundschreiben, in dem die Pfarrer des Notbundes aufgefordert wurden, einen Fragebogen der Kirchenbehörde zur arischen Abstammung nicht zu beantworten, kostete Niemöller und zwei Amtsbrüder ihre Stellung als Pfarrer. Wenige Tage später beschlossen auf einer Versammlung etwa 600 Dahlemer Gemeindemitglieder ein Protesttelegramm an das Konsistorium. Zur gleichen Zeit verschickten Mitglieder des Gemeindekirchenrats ein Flugblatt mit der Aufforderung, eine Eingabe an die Kirchenbehörde zu unterschreiben und eine Änderung der Pfarrstellenbesetzung zu verhindern. Der Widerstand hatte Erfolg, Niemöller blieb im Amt.

Als Hitler am 25. Januar 1934 die Kirchenführer zur Audienz empfing, um die stetig steigenden Spannungen zwischen Reichsbischof Müller und vielen Pfarrern, die seine Amtsführung heftig kritisierten, abzubauen, kam es zu einem Eklat zwischen Hitler und Niemöller, der Hitler seine Meinung ins Gesicht sagte. Damit hatte sich Niemöller den andauernden Hass Hitlers zugezogen.

Die Bekenntnissynoden von 1934

1934 kam es zum Zusammenschluss einer Bekenntnisgemeinschaft der Deutschen Evangelischen Kirche und im Mai einer ersten Bekenntnissynode in Barmen, an der 128 Vertreter oppositioneller Gemeinden und Kirchen teilnahmen. Hier wurden Praxis und Lehre der DC als Irrlehre verurteilt und zum Ungehorsam gegen den Reichsbischof und seine Kirchenregierung aufgerufen. Eine Verschärfung der kirchlichen und politischen Lage führte im Oktober zu einer zweiten Bekenntnissynode in Dahlem. Hier wurden die endgültige Trennung von den DC und der Aufbau einer eigenen Organisation für das ganze Reichsgebiet beschlossen: die Bekennende Kirche (BK).

In Dahlem führte die Bekennende Gemeinde ein lebhaftes kirchliches Leben mit Katechismusstunden und Berichten zum Kirchenkampf. Zu allen Veranstaltungen hatten nur Mitglieder der Bekenntnisgemeinde, ausgestattet mit der »Roten Karte« als Ausweis, Zutritt. Es gab Fürbittgottesdienste für verhaftete Pfarrer und Laien und ab November 1937 tägliche Morgenwachen in der St.-Annen-Kirche.

Die Verhaftung Niemöllers

Am 1. Juli 1937 wurde Martin Niemöller verhaftet und acht Monate im Untersuchungsgefängnis Moabit festgehalten. Nach seinem Prozess, in dem er nur zu einer geringen Strafe verurteilt wurde, wurde er gleich wieder festgenommen und als »persönlicher Gefangener des Führers« ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, von 1941 bis 1945 in das Konzentrationslager Dachau. Eine Welle der Sympathie für Niemöller setzte ein, und seine Dahlemer Gemeinde versammelte sich vom 4. Juli 1937 an jeden Abend zu einem Fürbittgottesdienst in der St.-Annen-Kirche für alle Gefangenen, derer namentlich gedacht wurde. Es gab Unterschriftensammlungen an Reichsminister der Justiz Gürtner und andere Bemühungen um die Freilassung Niemöllers. Ab 1942 wurde die Verlesung der Namen verboten.

Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinde

In Dahlem kam es zu heftigen Auseinandersetzungen um die Nachfolge Niemöllers, die damit endete, dass sich die Bekennende Gemeinde gegen den Gemeindekirchenrat für Helmut Gollwitzer als Gemeindepfarrer entschied, und somit dieser zusammen mit Pfarrer Fritz Müller der bruderrätlichen Leitung der BK die Treue hielt (»Dahlemiten«) – im Gegensatz zu den Pfarrern Röhricht und Dreß, die sich zur Zusammenarbeit mit dem Konsistorium entschlossen.

Am Bußtag, dem 16. November 1938, war Gollwitzer einer der wenigen Prediger, die auf das Unrecht der Pogromnacht am 9. November hinwiesen und die Mitschuld der Christen beklagten. Bereits zuvor hatte Pfarrer Fritz Müller als Vorsitzender der »Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche« (BK) einen Bittgottesdienst anlässlich der Sudetenkrise und des drohenden Krieges angeordnet und als einer der wenigen am 30. September 1938 auch selber gehalten. Er wurde daraufhin zusammen mit anderen Mitgliedern der BK-Leitung als Landesverräter beschimpft und seines Amtes enthoben. Gollwitzer konnte bis September 1940 in Dahlem predigen und Konfirmanden unterrichten, dann erhielt er von der Gestapo Aufenthaltsverbot für Berlin und Redeverbot für das gesamt Reichsgebiet. Im Dezember 1940 wurde er zum Militärdienst eingezogen. Ein „Helferkreis“ versuchte zusammen mit von auswärts geholten Pfarrern das kirchliche Leben der Bekennenden Gemeinde in Dahlem aufrecht zu erhalten.

Beistand für Juden

Wie überall tat man sich auch in Dahlem schwer mit dem Ungehorsam gegenüber der Staatsmacht, denn den Römerbrief mit seinem »Seid untertan der Obrigkeit. Denn alle Obrigkeit ist von Gott« hatten alle Christen im Ohr. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich aus einem theologischen Arbeitskreis heraus eine Gruppe von Gemeindemitgliedern 1942 mutig dazu entschloss, von den Nationalsozialisten verfolgten Juden bzw. jüdischstämmigen Menschen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor der Deportation in die Vernichtungslager zu retten. Diese Gruppe, geleitet von dem Juristen Franz Kaufmann, hatte in Helene Jacobs, Hildegard Jacoby und Gertrud Staewen mutige Mitarbeiterinnen

Literatur:
Graff, Gerti; v. Klewitz, Herta; Richers, Hille; Schäberle, Gerhard (Hrsg.):
Unterwegs zur mündigen Gemeinde. Die Evangelische Kirche im Nationalsozialismus am Beispiel der Gemeinde Dahlem. Bilder und Texte einer Ausstellung im Friedenszentrum Martin-Niemölller-Haus Berlin-Dahlem. Stuttgart 1982.
Schäberle-Koenigs, Gerhard: Und sie waren täglich einmütig beieinander. Der Weg der Bekennenden Gemeinde Berlin/Dahlem 1937–1943 mit Helmut Gollwitzer. Gütersloh 1998.

 

 

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